Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, denn wer hier einmal wohnen möchte, wird seine Ruhe einfordern!

Kann man Jahrhunderte gewachsene Altstadtstrukturen wie z.B. den Alten Strom mit einem in den letzten 30 Jahren entstandenen Neubaugebiet vergleichen? Ich denke nicht. Früher wurden Häuser vornehmlich errichtet, weil man Wohn- und Lebensraum schaffen wollte. Im Haus selbst (als kleiner Laden, Werkstatt, Herberge oder Gaststätte) wurde dann i.d.R. der Lebensunterhalt  verdient. Dieser urbanen Entwicklung verdanken unsere heutigen Stadtkerne ihre jeweiligen Strukturen, Individualität und Charme. Heute errichten Investoren vor allem Wohnhäuser, um über den Wohnungsbedarf oder Eigentumsverkauf/Kapitalanlagebedarf maximale Rendite zu erzielen. Dieser grundlegende Unterschied des Planungsansatzes ist leider der auf Rentabilität getrimmten „modernen“ Architektur zunehmend unverhohlen anzusehen. Wer also historisch gewachsene Quartiere mit Neubaugebieten gleichsetzt, vergleicht wahrscheinlich auch Äpfel mit Birnen. Beides ist ja schließlich Obst, was man vom Baum pflücken kann… Wer zudem glaubt, mit Wohnungsneubau die Mittelmole beleben zu können, verkennt das heutige Bedürfnis nach privaten Rückzugsraum. Wie belebt und anziehend ein neues Quartier für Außenstehende ist, zeigt sich im Dünenquartier ebenso wie im Molenfeuer. Architekturbegeisterte Passanten sind dank seelenloser Zweckarchitektur ebenso rar, wie Besucherströme von Touristen auf der Suche nach einem schönen oder wenigstens ortstypischen Selfie-Hintergrund. Und das moderne Neubaugebiete eher Symbole der Abschottung als einer Willkommenskultur sind, lässt sich auch gut als Besucher oder Spaziergänger in jeder der vielen, nach der Wende in Rostock entstanden Einfamilienhaussiedlung „erleben“. Hier wird jeder Fremde misstrauisch beäugt. Darum ist Wohnbebauung auf der Mittelmole meines Erachtens gänzlich fehl am Platz. Das kann nach logischen Erwägungen nur von einer Minderheit an Profiteuren für gut befunden werden, die als Investor, Kapitalanleger oder Wohnungsnutzer später einmal von diesem attraktiven Standort unmittelbar partizipieren würden. Das Ganze auf Kosten der Allgemeinheit. Doch Wohnen würde eine Entwicklungsperspektive der Mittelmole für das Gros der Menschen als für jederman zugänglichen Erlebnis- und Begegnungsraum killen. Darin liegt auch der Grundkonflikt. Seit dem Erwerb des Areals unserer stadteigenen Wohnungsgesellschaft vor 11 Jahren, wird eine transparente und faire öffentliche Diskussion über die bestmögliche Nutzung im Sinne unserer Stadt und ihrer Einwohner vermieden und blockiert. Erst der im September 2019 durch OB Madsen ausgerufene Neustart hat diese Blockade gelöst und das jetzige Beteiligungsverfahren samt der Infragestellung „Was möchte die Stadtgesellschaft überhaupt auf der Mittelmole?“ ermöglicht. Bis dato galt die vorgegebenen Nutzungsvorgabe der Wiro („Ein neuer Stadtteil Mittelmole“ Titel lt. Siegerentwurf vom Ideenwettbewerb aus März 2012) als nicht diskutierbar. Isoliert betrachtet auf das reine Geschäftsinteresse eines x-beliebigen Investor ist dieses Dogma sicherlich nachvollziehbar. Im speziellen Fall der Mittelmole handelt es sich jedoch um eine kommunale Firma, die 100% der Stadt und damit allen Rostockern gehört. Darum stellt sich die Frage, warum gesamtstädtische Interessen sich hinter die unternehmerische Profitorientierung einordnen sollen?

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